Wie viele Gesangsstunden muss ich nehmen, bis ich gut singen kann?

Wie viele Stunden Gesangsunterricht brauchst du, um richtig gut zu singen? Ein Artikel von Jessica Pawlitzki, Diplom Gesangslehrerin

Hallo zu einem neuen Artikel in der Rubrik „Sängerfragen“. Die Frage, die ich heute beantworte, wurde mir schon oft gestellt:

 

„Wie viele Gesangsstunden muss ich nehmen, bis ich gut singen kann?“

 

Uff. Was für eine Frage!

Die Antwort darauf interessiert dich sicherlich brennend. Schließlich wollen wir alle möglichst schnell und ohne viel Geld auszugeben erfolgreich und bekannt werden.

 

 

Doch ich muss dich enttäuschen. Es gibt keine allgemein gültige Antwort. Zu viele verschiedene Faktoren beeinflussen, wie lang du etwas so Persönliches wie die Stimme trainieren musst.

 

Am besten erkläre ich, wovon dein Fortschritt im Gesang abhängt. Im Überblick sind das:

  1. Faktor: Mit welchen Voraussetzungen fängst du an?
  2. Faktor: Wie viel Zeit hast du zum Üben?
  3. Faktor: Wie lange dauert deine Unterrichtsstunde?
  4. Faktor: Was bedeutet eigentlich „singen können“ oder „gut singen“?
  5. Faktor: Was gehört zum Singen lernen dazu?

 

Der 1. Faktor: Mit welchen Voraussetzungen fängst du an?

Der erste und wichtigste Faktor sind deine Erfahrungen und Voraussetzungen.

Mit welchen Vorerfahrungen kommst du in den Gesangsunterricht? Was kannst du schon und womit hast du noch Probleme? Oder kurz formuliert, was sind deine Stärken und deine Schwächen?

 

Nehmen wir mal die folgenden drei Sänger als Beispiel:

  • Sänger A hat große Probleme, die richtige Tonhöhe zu halten. Lange Töne kann er nicht aushalten. Deswegen singt er am liebsten schnelle Songs, da kommt es ja nicht drauf an. Er singt nur für sich zuhause und hatte noch nie Gesangsunterricht.
  • Sänger B kann die Töne ganz gut sauber singen, aber in der Höhe klingt es dünn und manchmal auch schräg. Auch das mit dem Timing ist so eine Sache. Meistens kann er den Beat halten, manchmal findet er aber den Einsatz einfach nicht. Er hat früher mal in einem Chor gesungen, dann aber aufgehört.
  • Sänger C hat keine Intonationsprobleme und auch die Atmung klappt ohne Probleme. Er findet aber, dass er langweilig klingt und das möchte er ändern. In der Vergangenheit hatte er ein paar Jahre Gesangsunterricht.

Diese drei Sänger haben alle ihre ganz eigenen Probleme. Und bringen vollkommen verschiedene Ausgangslagen mit.

Wahrscheinlich hast du während des Durchlesen gedacht, dass Sänger C schon „gut klingt“ und „singen kann“. Bei Sänger A hast du aber vielleicht gedacht „Lass das mal mit dem Singen. Nicht jeder hat das Talent dafür.“

 

Auch das Maß an Singerfahrung spielt eine Rolle. Ein Sänger, der früher schon mal Gesangsunterricht hatte, in einem Chor oder einer Band gesungen hat oder ein Instrument gelernt hat, hat mehr musikalische Erfahrungen als ein Unter-der-Dusche-Performer. Das wirkt sich auf die Fortschritte im Gesangsunterricht aus und wann diese eintreffen.

 

Noch ausführlicher beschreibt Stimmtrainer Frederik Beyer den Faktor Mensch in seinem Artikel „Wie lange dauert Stimmtraining, bis man erste Erfolge sieht“.

 

Der 2. Faktor: Wie viel Zeit hast du zum Üben?

Der zweitwichtigste Faktor beim Singen lernen ist das Üben zwischen zwei Gesangsstunden. Wie oft du übst, bestimmt deinen Fortschritt – und damit, wie viele Stunden du brauchst.

Gesang zu üben ist nicht wie Hausaufgaben erledigen! Einen Tag in der Woche für Biologie lernen und das reicht. Nein!

Gesang musst du regelmäßig üben. Ideal ist es, wenn du täglich üben kannst. Wenigstens aber dreimal pro Woche für mindestens 30 Minuten! Beim Üben lernst du, bewusst auf Dinge zu achten, die sonst unbewusst ablaufen. Außerdem verbesserst du die spontanen Veränderungen, die in der Gesangsstunde auftreten und die zu „guten“ Singergebnisse führen, zu dauerhaftem Erfolg.

 

Oder mit den Worten von Jennifer Lopez:

Wie viele Gesangsstunden brauchst du, um gut singen zu können?

„Du bekommst, was du gibst. Was du in die Dinge in deinem Leben investierst, ist das, was du dabei herausbekommst.“ Jennifer Lopez (Quelle)

 

Der 3. Faktor: Wie lang dauert deine Unterrichtsstunde?

Die Länge einer Gesangsstunde mag dir banal vorkommen. So wenig Geld wie möglich ausgeben, erinnerst du dich?

Aber: In einer 30minütigen Gesangsstunde kannst du bei weitem nicht so viele Dinge ansprechen, ausprobieren und singen, wie in einer 45minütigen oder 60minütigen Unterrichtsstunde.

Der Preis der Unterrichtsstunde sollte also nicht dein einziges Kriterium bei der Wahl des richtigen Gesangslehrers sein.

 

Der 4. Faktor: Was bedeutet eigentlich „singen können“ oder „gut singen“?

Jeder Sänger, den ich kenne, versteht unter „gut singen“ oder „singen können“ etwas anderes. Für die Einen ist es, dass ein Sänger besonders hoch singen kann. Für die Anderen, dass er besonders kunstvoll mit seiner Stimme umgehen kann. Oder dass man seinen Stimmklang stark verändern kann und scheinbar wie 10 verschiedene Künstler klingt. Jeder von ihnen bevorzugt andere Fähigkeiten in einem Sänger und dessen Stimme. Ich kennen keinen Menschen, der mit absolut jeder Stimme zufrieden ist, die er jemals hört.

 

Deshalb solltest du für dich klären, was du unter diesen Begriffen verstehst. Was ist dir wichtig? Wie möchtest du konkret klingen? Welche Ziele verfolgst du?

 

Um noch einmal zurückzukehren zum obigen Beispiel:

Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob Sänger B zum Beispiel beim Karaoke mit Freunden besser abschneiden will oder ob er professioneller Musicaldarsteller werden möchte. Für beide Ziele benötigt Sänger B ein gewisses Maß an Kontrolle über seine Stimme – nur wie viel das ist, hängt eben von seinem großen Traum ab. Und das bestimmt auch, wie lang seine Gesangsausbildung dauert.

Und falls Sänger A und Sänger C beide eine Musicalkarriere anstreben, werden die Dauer ihrer Gesangsausbildung und der Weg, den sie bis zum Erfolg gehen müssen, sehr unterschiedlich aussehen.

 

Der 5. Faktor: Was gehört zum Singen lernen dazu?

Singen zu können sieht so einfach aus. Mund auf, Ton raus, fertig.

Aber nichts ist jemals einfach.

 

Singen lernen ist kein Schreiner-Lehrgang, wo du nur die Handgriffe A bis F lernen musst, um dir einen Tisch zu bauen. Gesang ist sehr persönlich. Jede Gesangsausbildung ist einmalig.

 

Singen ist ein komplexer Vorgang, bei dem unzählige Umstände eine Rolle spiele. Stichwortartig und ohne Anspruch auf Vollständigkeit nenne ich dir ein paar davon aus den 2 Hauptgebieten Gesangstechnik und Songarbeit:

  • effiziente Atmung
  • Gebrauch der Stimmlippen
  • Art des Stimmeinsatzes
  • Resonanz
  • Artikulation
  • Songauswahl
  • Interpretation und Gestaltung
  • Entwicklung des Gehörs

 

Einige Soft Skills mischen auch noch mit:

  • soziale Kompetenz
  • Disziplin
  • Durchhaltewillen
  • persönliche Lebenserfahrungen
  • bisherige musikalische und sängerische Erfahrungen
  • Motivation
  • Prägung des Musikgeschmacks in Kindheit und Jugend
  • Ziele
  • Absichten

Erschwert werden diese scheinbar unbedeutenden Teilgebiete davon, dass die Stimmforschung immer noch nicht bis ins kleinste Detail weiß, wie Singen wirklich funktioniert.

Versteht mich nicht falsch. Die Forschung hat in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht! Aber welche Mechanismen wie arbeiten, um ein bestimmtes Klangergebnis zu erzielen – das ist noch immer nicht restlos geklärt. Welche Rolle die Psyche im Gesang spielt, ist zum Beispiel noch gar nicht erforscht.

 

Die Antwort: „Wie lang dauert es, bis ich gut singen kann?“

Wie du siehst, kann die Antwort auf diese Frage immer nur für eine Person gelten. Und in einem halben Jahr wieder ganz anders aussehen.

Um es ganz drastisch zu sagen: Gesangslehrer können nicht zaubern! Mit nur 1 bis 2 Gesangsstunden kommst du nicht weit.

 

Realistisch betrachtet dauert die Gesangsausbildung 2 bis 4 Jahre. Abhängig vom Sänger und seinen individuellen Voraussetzungen.

Diese Zeit ist nicht nur wegen der 5 Faktoren nötig, die ich oben genannt habe. Du brauchst diese Zeit auch, weil du dir im Gesangsunterricht gute Gewohnheiten antrainierst. Hab Geduld mit dir. Und fang an, an deinem Traum zu arbeiten.

 

Nach sechs Monaten regelmäßigen Gesangsunterrichts wirst du selbst erste Unterschiede hören und spüren. Das entspricht circa 20 Gesangsstunden. In den ersten Stunden treten meist spontane Erfolge ein. Oft kann ein Sänger die aber nicht reproduzieren, weil er (a) noch nicht in der Lage ist, die nötigen Prozesse auszulösen, um zum gewünschten Ergebnis zu gelangen, und (b) das bewusste Hinhören und Hineinfühlen noch nicht erlernt hat, um die feinen Unterschiede wahrzunehmen.

Du kannst das vergleichen mit dem Lernen einer Sprache. Nach einem Wochenendkurs Spanisch wirst du von dir selbst auch nicht erwarten, dich mit einem Muttersprachler fließend auf Spanisch unterhalten zu können.

 

Letztendlich musst du dich davon verabschieden, im Eiltempo zum Ziel zu gelangen. Auch Profisänger gehen regelmäßig zum Vocal Coach. Man lernt nie aus.

 

Fazit

Die Frage, wie viele Gesangsstunden man braucht, um gut singen zu können, lässt sich nicht pauschal beantworten. Realistisch betrachtet musst du mit 2-4 Jahren Gesangsausbildung rechnen.

Grund dafür ist, dass zahlreiche Prozesse eine Rolle spielen – deine Vorerfahrungen, wie viel Zeit du zum Üben hast, wie lang deine Unterrichtsstunde dauert, was du überhaupt unter „singen können“ verstehst, und was alles zum Gesang dazugehört.

Es gibt keine Zauberformel. Als Sänger musst du dich vom Traum einer schnellen Abkürzung verabschieden. Wenn du Geduld und Ausdauer beweist, hast du langfristig Erfolg.

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4 Kommentare
  1. Regine sagte:

    Liebes Team, ich habe schon immer davon geträumt eine erfolgreiche Sängerin zu werden. Genau jetzt, nach der Trennung von meinem Ex ist der Zeitpunkt gekommen….
    Was schlagt Ihr mir als Naechstes vor? Eine Gesangsprobe oder soll bzw. darf ich zu euch kommen? LG und einen wunderschönen Start in den Tag wuenscht euch Regine

    Antworten
    • Jessica Pawlitzki sagte:

      Liebe Regine, das hängt von mehreren Faktoren ab. Bist du mit deiner Art zu singen zufrieden? Kann deine Stimme leisten, was du dir von ihr wünschst? Dann kannst du direkt an den Aufbau einer künstlerischen Präsenz gehen, Songs einstudieren, dir Orte und/oder Plattformen für Gigs organsieren, evlt. Setlisten zusammenstellen und mit deiner Musik in die Öffentlichkeit gehen. Wenn deiner Stimme noch Fähigkeiten fehlen, dass empfiehlt sich der Gang zu einem Vocal Coach, im Idealfall einem, der die Musikstile unterrichtet und/oder selbst singt, die du auch bedienen möchtest. Wenn du das bei mir tun möchtest, dann schreib mir gern über die Kontaktseite eine Email.
      Viele Grüße, Jessica

      Antworten

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