Wie jung ist zu jung für Gesangsunterricht?

Wie jung ist zu jung für Gesangsunterricht mit Kindern?

Wann sollte ein Kind mit Gesangsunterricht beginnen? Ist das wie im Instrumentalunterricht – je früher, desto besser? Um diese Frage geht es heute.

 

Vor einigen Jahren kam eine junge Sängerin zur Probestunde zu mir. Ihre Mutter erzählte, sie liebe das Singen so sehr! Deshalb wollte sie die Tochter zum Gesangsunterricht anzumelden.

Die junge Sängerin hatte eindeutig Spaß während des Unterrichts. Doch schon beim Einsingen wurde mir klar, dass die Unterrichtsstunde zäh werden würde – und zwar für mich. Ich sang eine Übung vor, sie sang sie nach, ich korrigierte sie sanft, sie sang erneut 2-3 Runden und dann passierte es. Sie verlor die Konzentration.

Anfangs schob ich es auf ihre Nervosität und leichte Schüchternheit. Doch als die Stunde nicht besser wurde, dämmerte es mir. Sie war erst 7. Für ihre kurze Aufmerksamkeitsspanne konnte die junge Sängerin nichts. Sie war einfach zu jung.

 

Wie jung ist zu jung für Gesangsunterricht?

Darauf gibt es keine pauschale Antwort. Sie hängt vom geistigen und körperlichen Entwicklungsstand des jungen Sängers ab.

Meine Erfahrung zeigt, dass das ideale Einstiegsalter für den Gesangsunterricht bei 10 bis 12 Jahren liegt.

In diesem Alter haben Kinder bereits gelernt, sich für längere Zeit zu konzentrieren und ihre Aufmerksamkeit immer wieder auf ein Thema zu lenken.

Die jungen Sänger beginnen, ein Bewusstsein für ihren Körper zu entwickeln und können ihn aufmerksam beobachten.

Sie können sich aufgrund dieser Beobachtungen über ihre Atmung, Körperhaltung oder Artikulation äußern.

So erkennen sie zum Beispiel den Unterschied zwischen einer ungünstigen Körperhaltung und einer guten Körperhaltung, die die Stimme beim Singen unterstützt.

Spielerisch vermittelt lernen sie so die Grundlagen des Gesangs.

 

Mit 10 bis 12 ist die Stimme noch kindlich. Der Kehlkopf hat noch nicht die Mutation, den Stimmwechsel, durchlaufen. Allerdings stellt das kein Hindernis dar, denn die guten Gewohnheiten, die einen Sänger sein Leben lang begleiten, kann sich schon ein Jungsänger aneignen. Sie können im Gesangsunterricht während der Mutation ein wichtiger Anker sein, wenn die Stimme scheinbar im Chaos versinkt.

Kinder, die besonders musisch veranlagt sind oder eine hohe geistige Reife besitzen, können auch schon mit 8 bis 10 Jahren Spaß an der sängerischen Arbeit im Gesangsunterricht haben. Der Wille, den eigenen Gesang zu verbessern – und nicht, nur Liedchen zu trällern und Spaß zu haben – ist die wichtigste Voraussetzung.

 

Liedauswahl mit jungen Sängern

Ich vermeide es, mit Jungsängern Popsongs zu singen, die sie im Radio hören. Diese wurden von Erwachsenen aufgenommen, die eine entsprechende sängerische Ausbildung sowie die geistige Reife eines Erwachsenen haben.

Jungsänger sollten diese Lieder aus zwei wichtigen Gründen noch nicht singen:

  • Erstens kann ihr Körper, besonders ihr Stimmapparat, die nötige Gesangstechnik noch nicht produzieren, um den Klang des Vorbilds zu erreichen.

Alle Versuche, dies mit einer Gesangstechnik zu erreichen, die auf Kinder zugeschnitten ist, werden die jungen Sänger enttäuschen.

Und wer mit Macht versucht, so zu klingen wie sein erwachsenes Vorbild, riskiert schwere Stimmschäden. Immer häufiger enden diese in monatelangem Singverbot und logopädischer Therapie.

Die Gesunderhaltung der kindlichen Stimme sollte in jeder Gesangsstunde an erster Stelle stehen. Nur, weil ein Jungsänger einen besonders tiefen (oder hohen) Ton in einem Lied erreicht, heißt das nicht, dass er ihn auf gesunde Art produziert!

 

  • Zweitens verstehen die jungen Sänger noch kein oder wenig Englisch. Die Situationen, die im Text beschrieben werden, können sie weder vom Wortlaut her verstehen, noch können sie sie nachvollziehen. Denn eine ähnliche Situation haben sie selbst noch nicht erlebt. Gerade von diesem Sich-hineinversetzen leben jedoch Ausdruck und Gestaltung eines Songs.

 

Jungsänger und ihre Eltern sollten sich darauf einstellen, dass ein verantwortungsvoller Gesangslehrer auf Popsongs von Kinder-Sängern, Volkslieder und Kinderlieder zurückgreift.

Die Kika-Sendung „Dein Song“ ist eine super Quelle für Popsongs, die nicht nur von Jungsängern gesungen, sondern auch von ihnen geschrieben wurden.

Deutschsprachige, moderne Kinderlieder mit poppigen Melodien und zeitgemäßem Text komponieren z.B. Lorenz Maierhofer, Tjark Baumann, Andreas Mohr sowie Walter und Renate Kern.

Auch die englische Sprache muss nicht außen vor bleiben. Kindgerechte Songs in leichtem Englisch und nachvollziehbaren Situationen komponieren z.B. Lin Marsh sowie das Ehepaar Jay Althouse und Sally K. Albrecht. Auch viele Disney-Lieder eignen sich für junge Sänger.

 

Wann es wirklich zu früh für Gesangsunterricht ist

Ein Sänger, der in der Tat noch zu jung für Gesangsunterricht ist, zeigt häufig eines oder mehrere dieser Anzeichen:

  • Er kann sich nur für wenige Minuten konzentrieren.
  • Er klimpert lieber auf dem Klavier herum / schlägt wild auf eine Trommel / summt oder singt vor sich hin, als sich auf den Unterricht zu konzentrieren.
  • Er träumt viel vor sich hin.
  • Er brummelt vor sich hin, ohne ein Gespür für unterschiedliche Tonhöhen zu zeigen.
  • Er kann Unterschiede zwischen gut und schlecht nicht verbalisieren. Alles klingt / fühlt sich gleich gut an.
  • Er folgt nicht den Anweisungen des Lehrers in Bezug auf den eigenen Gesang, auch nicht nach mehrfachen Umschreibungen und Demonstrationen.
  • Er traut sich nicht, vor Fremden (dem neuen, unbekannten Gesangslehrer) zu singen.
  • Er langweilt sich schnell.
  • Er möchte mehr soziale Interaktion.

Sollten ein oder mehrere dieser Anzeichen auf den jungen Sänger zutreffen, ist es für den Gesangsunterricht noch zu früh.

Ein Chor oder eine Liedergruppe, die sich regelmäßig trifft, ist in diesem Fall die bessere Alternative. Diese bieten einem schüchternen Kind die nötige Deckung, um in Ruhe mit der eigenen Stimme in Kontakt zu treten und die dort entwickelten sozialen Kompetenzen prägen ihn auf positive Art für den Rest seines Lebens.

 

Gesang ist doch kein Instrument!

Zugegeben, ich betone immer wieder, dass Gesang genauso ein Instrument ist wie Klavier und Schlagzeug. Zumindest, wenn es um das Üben, Proben und Auftreten geht.

Doch in Bezug auf das Einstiegsalter ist Gesangsunterricht eben doch ganz anders.

Gesangsunterricht hängt in erheblichen Maß von der allgemeinen Entwicklung des Kehlkopfs und der Stimmlippen ab.

Bei Kindern haben Kehlkopf und Stimmbänder noch kindliche Ausmaße. Erst in der Pubertät wächst der Stimmapparat auf erwachsene Dimensionen an.

Dadurch unterscheidet sich die Leistungsfähigkeit von Kindersängern erheblich von jugendlichen und erwachsenen Sängern. Sie können noch nicht so hoch, so tief, so lang und so laut singen wie Erwachsene.

Die muskulären Abläufe innerhalb des Kehlkopfs verändern sich in der Pubertät in großem Maß. Sie lassen sich nur bedingt in die Mutationszeit und auf die spätere Erwachsenenstimme übertragen.

 

Im Klavierunterricht zum Beispiel können viele Abläufe der Hand- und Fingermuskeln übernommen und verfeinert werden, wenn die Hände während der Pubertät wachsen.

Die Mutation stellt für den Kehlkopf hingegen fast einen Totalumbau dar. Stimmbänder und Kehlkopf wachsen nicht nur. Momentan vermutet die Forschung, dass sich auch der Aufbau der Stimmbänder noch einmal verändert. Das wäre, als würden einem Pianisten weitere Sehnen in den Händen wachsen!

Bedingt durch diesen Totalumbau muss der Gebrauch des Stimmapparats nach der Mutation oftmals neu erlernt werden.

Es ist eben nicht wie bei einem Instrument, bei dem man eine Taste drückt und es kommt ein Ton heraus.

Der Gesangslehrer muss in der Arbeit mit Jungsängern viel Feingefühl walten lassen. Die Lieder wollen sorgsam ausgewählt sein. Auch die verwendete Methodik und die Gesangstechnik, die der Gesangslehrer dem Jungsänger beibringt, muss sich daran anpassen.

 

Fazit

Das ideale Einstiegsalter für den Gesangsunterricht liegt bei 12 Jahren. Jungsänger mit einem besonderen Gespür für Musik und Melodie können auch schon mit 8-10 Jahren Erfolg und Spaß am Einzelgesangsunterricht haben.

Die Auswahl der Lieder muss sich dem körperlichen und geistigen Niveau der jungen Sänger anpassen. Die Gesundhaltung der kindlichen Stimme sollte immer im Vordergrund stehen. Dies beeinflusst auch die Gesangstechnik, die gelehrt wird.

Mit einem einfühlsamen Gesangslehrer steht aber auch Kindern der Gesangsunterricht bedenkenlos offen.

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6 Kommentare
  1. Christa Brown sagte:

    Meine enkeltochter gerade 3 geworden will immer den film SING sehen dann steht sie da und singt und macht alle bewegungen lacht und freut sich sie hat schon mit 2 getanzt und gesungen könnte sie talent haben

    Antworten
    • Jessica Pawlitzki sagte:

      Hallo Christa!

      Es freut mich, dass deine Enkelin Spaß an der Musik hat. Von Talent möchte ich in diesem Alter nicht sprechen, denn das ist noch zu früh. Ihr könnt ihre Lust an Musik und Bewegung aber mit einem Kurs in „Musikalischer Früherziehung“ (MFE) oder in „Elementarer Musikpädagogik“ (EMP) fördern. Dort wird ganz viel mit Musik, Singen, Tanzen und Bewegen gemacht. Im weiteren Verlauf ihres noch jungen Lebens kann sich dann durchaus Talent entwickeln, wenn sie weiterhin Spaß daran hat.

      Liebe Grüße,
      Jessica

      Antworten
  2. Georgee sagte:

    Deine Aussagen in Bezug auf Konzentration treffen auf unsere siebenjährige Tochter nicht zu. Sie kann dem Gesangsunterricht problemlos zwei Stunden lang folgen und beschäftigt sich intensiv mit Musik. Sie besucht lieber Musik Geschäfte als Spielzeugläden, geht gern zu Konzerten und freut sich auf den Unterricht mit ihrem Klavier, Gesangs und Gitarrenlehrer. Sie spricht Englisch und versteht auch was sie da singt.
    Ihr Musikalisches Verständniss und Gehör ist jetzt schon stärker ausgeprägt as bei vielen Erwachsenen. Ihre große Liebe ist offensichtlich die Musik.
    Es gibt, besonders in den vereinigten Staaten und den Phillipinen, viele Kinder die auf alerhöchstem Niveau singen. Beispiele muss ich sicher nicht aufzählen aber schau dir mal Charice an, mit sieben, Kyla, die TNT Boys oder Michael Jackson, Stevie Wonder, Lena Zavaroni. https://www.youtube.com/watch?v=ZoGYRgOa3PM
    Wenn man deinen Text liest, könnte man meinen, es wäre besser einem jungen Talent mit sieben zu sagen: „lass uns nochmal 5 Jahre warten, den die entsprichst nicht der gängigen Norm in diesem Land“.
    Wäre das in unserem Fall wirklich richtig?

    Antworten
    • Jessica Pawlitzki sagte:

      Zunächst einmal finde ich es toll, dass eure Tochter das kann. Ausgehend von dem, was du schreibst, ist sie musikalisch sehr aktiv, hat bereits als junges Kind angefangen, und hat Spaß daran. Klasse!

      Weiterhin kann ich aber nur aus meiner eigenen Erfahrung sprechen. Und die ist leider, dass die meisten Kinder, die bisher nichts mit aktivem Musizieren zu tun hatten (keine Chorerfahrung, keine Blockflötestunden in der Grundschule, wenig Singen im Kindergarten, u.ä.), bis zum Alter von 10-12 Jahren Probleme haben, sich im Einzelunterricht länger zu konzentrieren.
      Ich weiß, ich verallgemeinere hier. Aber sind wir mal ehrlich, Ausnahmen gab es immer, gibt es und wird es immer geben.

      Gleichzeitig weiß ich, dass sich mein Unterricht stark an der Technik des Singens und der Fähigkeit, die Songbotschaft zu übermitteln, orientiert. Und genau weil ich weiß, wo meine Stärken im Unterrichten liegen, weiß ich, dass ich Kinder nur die Sprachen singen lasse, die sie auch beherrschen.
      Bei, Achtung Verallgemeinerung, den meisten Kindern in Deutschland ist das Deutsch. Ich habe 11jährige aus anderen Ländern (Europa, Südamerika, naher Osten) kennengelernt, die sich gut mit Erwachsenen auf Englisch unterhalten konnten, während die deutschen daneben standen und noch nicht einmal verstanden haben, worum es ging, geschweige denn in die Unterhaltung einsteigen konnten. Im Kontrast dazu habe ich Kinder betreut, die zweisprachig aufwuchsen. Natürlich lasse ich sie in der Zweitsprache singen.
      Und mit Sicherheit haben Kollegen, die die Gesangstechnik spielerischer vermitteln, andere Resultate als ich.

      Was sagt man also einem Grundschulkind, das Singen lernen will? Dass es Optionen hat: zum Radio mitträllern, Chor, Gruppenunterricht, Einzelunterricht. Und dass es immer, immer, immer eine individuelle Entscheidung zwischen dem jungen Sänger, der Lehrkraft und den Eltern ist.

      Wie gesagt, ich kann nur aus meiner persönlichen Erfahrung sprechen und dementsprechend nur darüber schreiben. Etwas anderes zu tun, ist aus meiner Sicht anmaßend und besserwisserisch.

      Was das nun über eure Tochter aussagt, könnt ihr am besten beantworten.

      Antworten

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