Turbo Tips Üben #9: Remote Practice – Singen üben jenseits von Mikrofon und Notenständer

Remote Practice für Sänger - Singen üben ohne zu singen

Manchmal ist es wie verhext – wir nehmen uns ganz fest vor, jeden Tag fleißig zu üben. Doch was passiert? Plötzlich ist eine Woche vergangen, ohne dass wir geübt haben. Damit dir das in Zukunft nicht mehr passiert, möchte ich in der heutigen Ausgabe der Turbo Tipps Üben darüber sprechen, wie du mit der Remote Practice für Sänger jenseits von Mikrofon und Notenständer singen üben kannst.

 

Remote Practice für Sänger: was ist das denn?

Der Aufhänger für diesen Turbo Tip Üben ist das Konzept der „Remote Practice“, das unter Instrumentalisten schon lange bekannt ist. Übersetzt bedeutet es so viel wie Fern-Üben.

Instrumentalisten haben bekanntlich ein Instrument, an das sie sich zum Üben setzen. Wenn es nicht griffbereit ist, können sie nicht üben. Genau dort setzt die Remote Practice an: Dass Musiker eben doch üben können, auch wenn ihr Instrument gerade nicht zur Verfügung steht.

Da steht auch schon die zweite Frage im Raum: Warum üben, wenn das Instrument nicht zur Hand ist?

Weil Musiker vielbeschäftigte Leute sind. Wir pendeln mit Bus und Bahn zur Uni, zum Unterricht oder zur nächsten Probe. Wir warten im Uniflur auf ein freies Übezimmer. Oder wir wollen unsere Mitbewohner / Partner / Nachbarn nicht stören, wenn wir abends um 23 Uhr doch noch mal schnell in die Noten gucken wollen.

Mit Remote Practice kannst du diese tote Zeit nutzen, um dich als Sänger weiterzuentwickeln.

Das klingt ja alles ganz gut, wirst du jetzt sagen. Aber ich habe als Sänger mein Instrument immer dabei! Ich kann eigentlich immer üben …

Nur weil wir unser Instrument immer dabei haben, heißt das nicht, dass wir auch zu jeder Tageszeit üben. In manchen Situationen ist es zudem nicht angebracht. Mit kreativem Um-die-Ecke-denken kannst du diese ungeeignete Zeit jedoch nutzen, um dich als Sänger und Musiker weiterzuentwickeln.

 

Wie funktioniert Remote Practice für Sänger?

Lass uns zunächst mal schauen, wo für Sänger (und Menschen im Allgemeinem) tote Zeit lauert:

  • Wir warten beim Arzt und in der Apotheke (Letzten Herbst stand ich tatsächlich schon mal 20 Minuten in der Apotheke an.)
  • Wir warten an der Supermarktkasse.
  • Wir warten auf jemanden, weil wir früher als vereinbart am Treffpunkt sind.
  • Wir warten zwischen zwei Terminen.
  • Wir pendeln mit Bus und Bahn.
  • Wir wollen früh morgens oder spät abends unsere Mitbewohner und Nachbarn nicht stören, haben aber nur dann wirklich Freizeit.
  • Wir stehen im Stau auf der Autobahn.
  • Wir verrichten monotone Hausarbeiten.
  • Wir machen Sport.

In diesen Zeiten, in denen du scheinbar nichts machst oder die wenig Konzentration von dir verlangen, kannst du drei Tätigkeitsbereiche nutzen, um etwas für deinen Gesang zu tun: Hören & Sehen, Denken & Nachdenken und Tun.

 

Remote Practice für Sänger – 1. Bereich: Hören & Sehen

In Tätigkeitsfeld „Hören und Sehen“ unterscheide ich zwischen aktivem und passivem Üben. Sehen ist eine aktive Tätigkeit, Hören kann sowohl aktiv als auch passiv geschehen.

Um das aktive Sehen für die Remote Practice zu nutzen, kannst du dir Videos anschauen.

  • Du kannst dir in Live-Aufnahmen anderer Künstlern Inspiration für die Interpretation oder das Arrangement deiner Songs holen.
  • Du kannst TED Talks, Quarks & Co., Leschs Kosmos und weitere Wissenssendungen anschauen. In der TED Bibliothek befinden sich derzeit 128 Videos nur über Musik (hier).
  • Du kannst ganz verrückte neue Instrumente und Techniken entdecken. Zum Beispiel die Mimu Gloves (hier) oder dass man alleine zweistimmig singen kann (hier).

Für die Remote Practice im passiven Hören kannst du folgendes tun:

  • Du kannst dir Playlists deiner Songs von verschiedenen Interpreten zusammenstellen und sie dir anhören. Bonuspunkte gibt es, wenn es Songs sind, die du demnächst lernen möchtest – dann lernst du sie unterbewusst bereits vor.
  • Du kannst die o.g. Wissenssendungen auch als „Hörbuch“ verwenden.
  • Du kannst dir Podcasts anhören – über Musik und Gesang, über Motivation und Konzentration, über Biologie und Gehirnforschung, über GEMA und Tonaufnahmen. Podcast.de bietet dir einen guten Einstieg in das Medium (hier).

Im aktiven Hören kannst du außerdem die folgenden Dinge tun:

  • Du kannst dir die Aufnahme der letzten Gesangsstunde anhören und Notizen machen. Was lief gut? Was nicht? Wo hörst du Veränderungen in deinem Klang? Weißt du noch, was du an dieser Stelle getan oder gedacht hast?
  • Du kannst die o.g. Playlists von Songs verschiedener Interpreten analysieren und vergleichen. Was macht eine Aufnahme oder einen Sänger einzigartig? Was machen alle Künstler gleich? Wie trägt der Rhythmus zur Stimmung bei?
  • Du kannst dir neue Gesangsübungen und Einsingübungen erst einmal nur anhören. Wie verläuft die Melodie? Welche Stufen der Tonleiter sollen gesungen werden? Welche Silben sollst du benutzen?
  • Du kannst dir die Backing Tracks deiner Songs anhören und in Gedanken mitsingen. Es schult deine musikalische Vorstellungsgabe. Höre deine Einsätze heraus. Was passiert kurz vor dem Einsatz? Woran merkst du, dass du gleich einsetzen musst? Gibt dir ein Instrument oder das Tempo Starthilfe?

 

Remote Practice für Sänger – 2. Bereich: Denken & Nachdenken

Wenn du in einer Situation bist, in der laute Geräusche nicht angebracht sind, kannst du dir natürlich Gedanken machen und mental Gesang üben.

  • Du kannst den Songtext übersetzen. Es ist wichtig, dass du nicht nur ungefähr weißt, welche Geschichte der Song erzählt.
  • Du kannst den Songtext interpretieren. Was erzählt der Text wirklich? Bei Redewendungen ist nicht immer sofort klar, was der Texter tatsächlich ausdrücken will. Wenn du über den Text nachdenkst, wird dir klar, dass zum Beispiel Leonard Cohens „Hallelujah“ von einer destruktiven Beziehung erzählt.
  • Du kannst die Übersetzung des Songtexts zusammenfassen. Kannst du in 1-2 Sätzen erklären, wovon dein Song handelt? Als Alternative kannst du einzelne Abschnitte zusammenfassen und so den Verlauf der Geschichte nachvollziehen.
  • Du kannst den Songtexte auswendig lernen. Handgeschrieben auf Karteikärtchen oder ein Blatt funktioniert für unser Gehirn am besten (hier).
  • Du kannst den Song recherchieren. Wer hat ihn komponiert und den Text geschrieben? Wann und aus welcher Situation heraus ist er entstanden? Stammt der Song aus einem Musical, solltest du auch wissen, wie dieser in den Gesamtablauf hineinpasst und wer ihn singt. Was ist dieser Person vorher passiert, dass sie nun diesen Song singt?
  • Du kannst im Kopf singen. Atme an den Atemstellen bewusst ein und während du mental singst langsam aus. Stell dir vor, wie du die Worten formst und wie deine Intensität sich im Laufe des Songs verändert.
  • Du kannst deinen Übeplan für die Woche in dein Practice Journal schreiben.
  • Du kannst dich über Gesang informieren. Plagt dich das Lampenfieber vor jedem Auftritt? Oder suchst du Einsingübungen? Bist du dir unsicher, ob Sänger Noten lesen können müssen? Und wie kannst du deine Stimme gesund halten? In Büchern, Blogs und Foren findest du reichlich Informationen.
  • Du kannst eine Mind-Map erstellen mit allem, was du lernen, üben und können möchtest als Sänger. Welche Songs willst du singen können? Welche Techniken möchtest du lernen? Wo oder vor wem möchtest du auftreten? Was wünscht du dir an Songbooks, Equipment, Apps oder Software? Eine tolle Anleitung, wie Mindmaps funktionieren und wie Sänger davon profitieren, findest du bei Advancing Musician (hier).
  • Du kannst dir Prioritäten für die nächste Zeit setzen. Die Vorbereitung auf einen Soloauftritt bringt andere Prioritäten mit sich, als die Teilnahme an einem Chorprojekt. Deine Überoutine wird sich verändern, denn du entwickelst dich weiter.

 

Remote Practice für Sänger – 3. Bereich: Tun

Im dritten Bereich „Tun“ kannst du das tun, was Musiker unter „üben“ verstehen – alles, außer singen.

  • Du kannst beim Warten an der Kasse auf „s“ ganz leise und gleichmäßig ausatmen. Setze den Support ein und schau, wie viele Sekunden du schaffst.
  • Du kannst deine Haltung trainieren. Baue von den Füßen her die ideale Sängerhaltung auf und fühle, wie sich dein Körper dabei anfühlt. Dann bewege dich und nimm die Haltung erneut an. Je schneller du sie einnehmen kannst, desto besser bist du für Notfälle gewappnet, wenn im vorletzten Song die Stimme schlapp macht.
  • Du kannst mit Visualisation und Meditation deine Körperwahrnehmung schulen.
  • Du kannst eine Tasse Tee oder Kaffee mit dem bewussten Ausatmen auf „f“ kühlen. Setze dabei aktiv den Support ein.
  • Du kannst deine Artikulation mit Zungenbrechern oder schwierigen Vokalketten trainieren. „Der kleine Hey“ (hier) ist ein bewährter Sprechtrainer.
  • Du kannst netzwerken und dich mit alten und neuen Freunden austauschen. Du weißt nie, wo die nächste Gelegenheit herkommt.
  • Du kannst deine Fremdsprachenkenntnisse verbessern. Die wichtigste Sprache in der Popularmusik ist Englisch, doch du kannst jede Sprache lernen, die dir wichtig ist.
  • Du kannst deinen Songtext sprechen üben. Die Zunge möchte auch trainiert werden.
  • Du kannst deine Einsätze üben. Spiel den Backing Track deines Songs ab und übe, wie und wann du atmen musst, um rechtzeitig einzusetzen.
  • Du kannst lernen, wie du Verspannungen löst. Jeder Sänger hat seine eigene, besonders anfällige Stelle. Umso besser, wenn du weißt, wie du den Stress wieder aus den Muskeln heraus bekommst. Mit ein wenig Übung merkst du dann immer früher, wann die Verspannung beginnt und kannst frühzeitig gegenwirken.

 

Wann du Remote Practice nutzen solltest

Lass uns nochmal zurück zum Stressfaktor gehen. Jeder Sänger und Musiker ist stark eingespannt. Tatsächliche Frei-Zeit haben wir immer weniger. Umso wichtiger sind die kleinen Phasen toter Zeit, die du mit der Remote Practice nutzen kannst.

Nimm dir deshalb kleine Ziele für die Remote Practice vor. Deren Erfüllung lässt sich leichter nachvollziehen und du kommst nicht nur gefühlt vorwärts. Denke in kleinen Zeitintervallen. Nur 5 Minuten Zeit? Da lassen sich zwei Sätze übersetzen, drei Mal Support üben oder vier, fünf Songs auf die Möchte-ich-gern-mal-singen-Liste schreiben.

Remote Practice kannst du nutzen, wenn du mit einer Erkältung nicht singfähig bist. Wenn du scheinbar nie zum Singen Üben kommst. Und natürlich wenn du im Urlaub etwas für deinen Gesang tun willst, ohne deine Miturlauber zu stören oder dein ganzes Equipment mitschleppen zu müssen.

Die Remote Practice ist auch nützlich, wenn du viele kleine Wartepausen während des Tages hast. Besser vier Mal 5 Minuten lang geübt als gar nicht.

Dagegen solltest du auf diese Technik des Übens verzichten, wenn du sowieso schon gestresst bist. Dann nutze die tote Zeit bitte zum Durchatmen, zum Gedanken schweifen lassen, zum Schultern lockern oder zum Tee genießen. Du musst nicht um jeden Preis produktiv sein.

Sei bitte ebenso vorsichtig, wenn du so richtig krank bist. Für Sänger ist die Remote Practice vor allem mentale Arbeit, besonders wenn die ideale Haltung, die richtige Atmung und eine saubere Artikulation bereits im Unterbewusstsein verankert sind. Doch bei einer Erkältung ist Denken eine Qual. Bei einer dicken Erkältung gibst du die Zeit besser deinem Körper und unterstützt ihn bei der Heilung.

 

Fazit

Das Singen Üben fernab von Notenständer und Mikrofon erfordert nur ein bisschen Mut zur Kreativität. Dann fallen dir sicher noch mehr Möglichkeiten in den drei Bereichen Hören & Sehen, Denken & Nachdenken und Tun ein, mit denen du tote Zeit sinnvoll für deinen Gesang nutzen kannst.

Welchen Remote Practice für Sänger Tip wirst du umsetzen? Oder hast du einen eigenen, den du uns verraten möchtest?

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