Turbo Tips Üben #8: Rückwärts üben
Im achten Teil der „Turbo Tipps Üben“-Reihe geht es um das Rückwärts Üben, einer effektiven Art, um lange oder komplizierte Songs zu lernen.
Was ist Rückwärts Üben?
Sicherlich hast du schon mal auf einem Musikschulkonzert jungen Musikern zugehört. Und mit Sicherheit waren ein oder zwei Schüler nicht so sicher in ihrem Vortrag. Sie starteten souverän. Und je länger ihr Stück wurde, desto mehr Fehler und Unsicherheit schlichen sich ein. Schließlich klang das Musikstück in einem Berg schiefer Töne aus.
Das Rückwärts Üben, auch retrosequentielles Üben genannt, wirkt dem entgegen.
Wenn du die Rückwärts Üben Methode anwendest, übst du das Ende eines Songs am häufigsten. Du übst rückwärts statt vorn anzufangen.
Das Ende eines Songs ist oft auch besonders schwer – eine exponierte Lage, schnelle Verzierungen, lange Töne, kräftiger Sound. Dies wesentlich häufiger zu trainieren als den Beginn lohnt sich extrem.
Mit der Rückwärts Üben Methode
- übst du konzentriert in kleinen Einheiten.
- findest du immer wieder rein, wenn du mal den Text vergisst.
- beschäftigst du dich intensiv mit dem Song.
- startest du immer frisch.
- ist dir das Ende eines Songs genauso vertraut wie der Beginn.
- präsentierst du einen Song mit kompletter Souveränität.
- musst du bei einem Auftritt nie mehr sagen „Können wir nochmal von vorn anfangen?“
Diese Übemethode funktioniert mit dem gesamten Lied und einzelnen Abschnitten.
Wie funktioniert Rückwärts Üben?
Die Vorgehensweise beim Rückwärts Üben prägt sich leicht ein. Du startest am Ende.
- Du beginnst mit dem letzten Takt der Gesangsstimme. Du lernst und singst ihn, bis Melodie, Text und Gesangstechnik sitzen.
- Dann lernst du den vorletzten Takt. Beherrscht du diesen, setzt du die letzten beiden Takte zusammen.
- Danach lernst du den drittletzten Takt. Beherrscht du ihn, singst du vom drittletzten bis zum letzten Takt der Gesangsstimme.
- Anschließend lernst und übst du den viertletzten Takt.
- Auf diese Art geht es weiter.
Ein Beispiel: „Warwick Avenue“ von Duffy.
- Du beginnst mit dem letzten Takt oder in der letzten Phrase „Baby, you’ve hurt me.“ und übst sie, bis deine Gesangstechnik passt.
- Dann startest du eine Phrase früher und singst „I want to be free. Baby, you’ve hurt me.“. Die Phrase „Baby, you’ve hurt me.“ hast du bereits mehrfach gesungen, du kennst sie und kannst sie problemlos singen. Das bedeutet, du hast mehr Kapazitäten frei, um dich auf die Phrase „I want to be free“ zu konzentrieren.
- Wenn die zwei Phrasen musikalisch und sängerisch klappen, fügst du die drittletzte Phrase an: „You don’t love me. I want to be free. Baby, you’ve hurt me.“
So verfährst du, bis du den gesamten letzten Abschnitt geübt hast. Danach kommt der Abschnitt vor dem letzten dran.
Du kannst das Rückwärts Üben noch variieren.
Variation 1: In Abschnitten üben
Statt den Song von vorn in der üblichen Reihenfolge (zum Beispiel Strophe 1 – Refrain – Strophe 2 – Refrain – Coda) zu üben, drehst du das Ganze um: Zuerst singst du die Coda. Als nächstes startest du im Refrain vor der Coda – du singst Refrain – Coda. Danach übst du Strophe 2 – Refrain – Coda. Und so weiter.
Auf diese Weise wirst du mit dem Ende des Songs sehr vertraut. Du singst ihn schlicht häufiger.
Variation 2: Für Ausgleich sorgen
Es gibt Songs, die auf einem Abschnitt besonders herumreiten. In Ellie Gouldings Songs „Burn“ kommt der super spannende Refrain vier Mal vor und der PreChorus sogar fünf Mal.
Es ist sinnvoller, die Strophen, die nur ein Mal auftauchen, genauso häufig zu üben, wie den Refrain. Dann stirbst du auch nicht vor Monotonie.
Für „Burn“ könnte der Übeplan so aussehen:
- Strophe 2 („We don’t wanna leave“)
- Strophe 1 („We don’t have to worry about nothing“)
- variierter Refrain („We can light it up, up, up“)
- Refrain („And we gonna let it burn, burn, burn“) – nur einmal !
- PreChorus (der hohe Part „When the lights turned down“) – nur einmal !
Grenzen
Die Rückwärts Üben Methode hat eine Grenze. Endet ein Song mit einem „Ad Lib.“ oder einem „Repeat and Fade“ funktioniert sie nicht. Diese Arten, den Song zu beenden, leben von der Improvisation. Und die lässt sich bekanntlich nicht festnageln.
Weiterführende Literatur
Einige Musiker haben sich ebenfalls Gedanken über das Rückwärts Üben gemacht.
- Die Methode wird im Buch „Clever üben, Sinnvoll proben, erfolgreich vorspielen“ von Mark Andreas Giesecke besprochen.
- Dr. Chris Foley, Auto des „The Collaborative Piano Blog“ hat ein feines eBook herausgebracht: „31 Days To Better Practising“. Dort schreibt er am 11. Tag über das Rückwärts Üben.
- Dr.phil. Frank Liebscher veröffentlichte seinen Artikel „Richtig spielen – von Ende an“ in der Zeitschrift „Üben & Musizieren“ (Ausgabe 2/2013).
- Dr.phil. Frank Liebscher hat bereits 2012 über das Rückwärts Üben gesprochen. Sein Script ist in der ATINER Conference Paper Series erschienen: „Playing Right – from the End. Basics and Application of Retro Sequential Practise (RSP)“.
Fazit
Rückwärts Üben bereichert dein Überepertoire. Du kannst einen einzelnen Abschnitt rückwärts üben oder einen ganzen Song. Fang vom Ende aus an und du wirst deine Songs mit Selbstbewusstsein präsentieren.
Verwandte Artikel:
- Eine erste Einführung in das Thema Gesang üben findest du im Leitartikel „Singen üben – Alles, was du wissen musst“.
- Im siebten Artikel der „Turbo Tipps Üben“-Reihe ging es darum, wie dir eine Methode aus der Gesangstechnik, das Lippenflattern, beim Üben helfen kann.
- Ganz weit weg vom Notenständer und dem Keyboard möchte ich dich bringen mit dem „Turbo Tip Üben Nr. 9“. Darin geht es um die Remote Practice, mit der du super zwischendurch üben kannst.
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